«CRYSTAL OF RESISTANCE»
AN ARTWORK BY THOMAS HIRSCHHORN FOR THE SWISS PAVILION / VENICE BIENNALE 2011
Fragen Thomas Hirschhorn für «Du» / Brigitte Ulmer
Brigitte Ulmer: Thomas Hirschhorn, welche Aufgabe hat Kunst?
Thomas Hirschhorn: Kunst ist Behauptung von Form. Kunst kann demnach durch die Behauptung
von Form neue Gedanken -
Inwiefern glaubst Du an die politische Wirksamkeit Deiner Kunst? Woran machst Du sie fest?
Ja, ich glaube an die Wirksamkeit meiner Arbeit. Wenn ich schreiben "glauben" dann nehme ich das ernst, denn es geht darum an die Wirksamkeit von Kunst zu glauben. Diese Wirksamkeit messbar zu machen wäre falsch und ich werde nicht in die Falle des Resultats, der Nachprüfbarkeit oder des "Funktionieren müssens" fallen.
Für mich gilt: Meine Kunst ist wirksam wenn sie es schafft den Anderen zu implizieren. Meine Kunst ist wirksam wenn sie es schafft einen Dialog oder eine Konfrontation herzustellen, direkt, von eins zu eins. Und meine Kunst hat Wirkung wenn ich es schaffe eine neue Form zu erfinden.
In Deinem Biennale-
Es ist ein Rückschlag für die Freiheit. Es bedeutet, dass für Freiheit weitergekämpft
werden muss, es bedeutet, dass derjenige der für die Kunstfreiheit kämpft auch immer
für die Freiheit kämpft. Was Ai Wei Wei -
Tatsächlich will ich daran arbeiten, einen „Kritischen Körper“ zu erschaffen. Ein
„Kritischer Körper“ zu etablieren heisst aber nicht bloss zu kritisieren oder "Kritisiererei"
zu verfallen. Ein „Kritischer Körper“ ist zuerst ein Körper -
Siehst Du Ähnlichkeiten zwischen Ai Wei Weis Strategien und Zielen und Deinen?
Ich kenne die Arbeit von Ai Wei Wei tatsächlich nur aus den Medien – wie viele. Ich
habe noch keine seiner Arbeiten wirklich gesehen und erlebt. Ich bin also nicht derjenige
der Unterschiede machen kann oder von Ähnlichkeiten reden kann. Von seinen Strategien
oder Zielen zu reden wäre -
Inwiefern beeinflusst diese Festnahme Deinen Blick auf die gesellschaftliche Relevanz und Wichtigkeit Deiner Kunst?
Auch ich will die sofortige Freiheit für Ai Wei Wei!
Ich kann aber meine Arbeit nicht von der Aktualität abhängig machen, das wäre kurzsichtig.
Ich darf mich nicht von Tatsachen und Fakten beeinträchtigen lassen, denn es ist
meine Arbeit die wichtig für mich ist. Ich will eine Arbeit machen die der Tatsachenwelt
widersteht -
Es besteht heute grosse Unklarheit um die Frage was “Politisch” oder "Gesellschaftlich
Relevant" sei. Mich interessiert nur das wirklich Politische, das Politische das
fragt und beantwortet: "Wo stehe ich? Wo steht der Andere? Was will ich? Was will
der Andere?" Die Politik der Meinungen, die Politik der Kommentare und die Politik
der Mehrheitsfindung -
Mir geht es darum, meine Kunst politisch zu machen, es geht mir nicht darum politische
Kunst zu machen. Den Satz: “Kunst politisch machen -
Engagierte Kunst hat in einem totalitären Staat ganz andere Konkretheit und ist andern Repressionen ausgesetzt als in einer Demokratie wie in der Schweiz. Wo beziehst Du die Reibungswärme, die Du benötigst für Deine Kunst?
Wie jeder Künstler beziehe ich nichts von Aussen um meine Arbeit zu tun, sondern alles was mich antreibt meine Kunst zu machen kommt von Innen, von meinem Innersten, von meinem Selbst. Alles andere wäre reaktionär.
Die Begriffe “Engagierte Kunst” oder “engagierter Künstler” werden heute sehr oft benutzt. Diese Vereinfachungen und Abkürzungen sind schon lange überholt. Keine Sekunde denke ich, ich sei "engagierter" als irgendein anderer Künstler auf dieser Welt. Denn als Künstler muss man total engagiert sein mit seiner Kunst, wo immer man ist und woher man immer kommen mag. Es gibt keine andere Möglichkeit wenn man etwas erreichen will mit seiner Kunst ausser ein totales Engagement. Das gilt für jede Kunst. Das gilt für jeden Künstler, das gilt überall auf der Welt. Das gilt auch für mich.
Welche Gegenkräfte, welche Resonanz spürst Du in bezug auf Deine Kunstprojekte?
Ich nehme viel Aufmerksamkeit wahr, was meine Arbeit betrifft, manchmal ist die Resonanz bejahend manchmal ist sie verneinend. Tatsächlich kenne ich aber kaum einen anderen zeitgenössischen Künstler über den so viel Mist geredet und geschrieben wird und dessen Arbeit mit so viel Müll zugedeckt wird! Aber so muss es sein, ich beklage mich nicht und will hier nicht mit Gegenkräften die meine Arbeit auslöst oder Zensur die meine Arbeit erfährt prahlen, sie instrumentalisieren oder sie sogar als Beweis und Legitimation benutzen.
Was zählt, ist meine Arbeit zu tun, ohne sie von Einschätzungen -
2004 hatte Dein Kunstprojekt im Centre Culturel Suisse Paris ganz realen Widerstand
erzeugt: Der Pro Helvetia wurde 1 Million Kunstbudget gekürzt, als Protest gegen
Deine Blocher-
Ein Skandal auszulösen kann nie ein Erfolg sein, ganz bestimmt nicht für mich als
Künstler. Nie kann ein Skandal auszulösen oder eine Provokation zu erzeugen ein künstlerisches
Ziel sein. Aber auch nie darf ich mich als Künstler in meiner Arbeit beeinflussen
lassen von der Möglichkeit jemanden zu provozieren oder von der Möglichkeit einen
Skandal auszulösen -
Der wirkliche Erfolg von "Swiss-
Im weiteren vergisst Du zu erwähnen, dass -
Als Blocher Bundesrat wurde, hast Du dagegen protestiert, indem Du in der Schweiz nicht mehr ausgestellt hast. Warum bist Du der Konfrontation, die Du von der Kunst mitunter forderst, aus dem Weg gegangen? Würdest Du das wieder tun?
Ich bin da gar nicht mit Dir einverstanden, denn im Gegenteil habe ich mich voll
konfrontiert und dafür bezahlt! Ich habe etwas getan: Ich habe alleine, ohne jemanden
zu fragen, ohne aufgefordert zu sein und ohne jemand anderen aufzufordern einen persönlichen
Boykott ausgesprochen. Ich habe diesen, meinen Boykott klar -
Welche Strategien muss heute ein Künstler anwenden, um in dieser Kakophonie von Kommunikationskanälen gesellschaftlich und politisch wirksam zu sein?
Kunst ist politisch wirksam weil sie Universell ist, Kunst ist politisch wirksam
weil sie für Gleichheit ist, Kunst ist politisch wirksam weil sie etwas Autonomes
ist, Kunst ist politisch wirksam weil sie für Gerechtigkeeit ist, Kunst ist politisch
wirksam weil sie es ermöglicht sich mit etwas Neuem, etwas noch nicht Dagewesenen,
etwas worauf ich selbst nicht gekommen wäre auseinander zu setzten, Kunst ist politisch
wirksam weil sie sich immer auf die Möglichkeit des Menschen über etwas Nachzudenken
bezieht, Kunst ist politisch wirksam weil sie eine Setzung ist und Kunst ist politisch
wirksam weil sie sich immer auf Freiheit bezieht. Die Wirksamkeit von Kunst ist
demnach etwas was öffnet, was die Welt als etwas Ganzes versteht, was befreiend ist,
was in Bewegung ist, was Aktiv ist, was Wahrheit schafft, was emanzipiert und was
an alle unsere Möglichkeiten appelliert. Kunst ist positiv -
Kunst arbeitet nicht mit Angst, Kunst arbeitet nicht mit Ressentiments, nicht mit
Tradition, nicht mit Identität. Kunst verträgt keine Kleinherzigkeit. Kunst arbeitet
nicht mit Mutlosigkeit, Kunst dreht sich nicht weg vom Unbekannten, Kunst kehrt dem
Andersdenkenden nicht den Rücken und Kunst ist nicht Verengung. Und weil das so ist
-
Kunst widersteht gleichzeitig vereinfachendem Realismus wie vereinfachendem Idealismus
indem sie ästhetischen wie politischen Idealismus und auch ästhetischen wie politischen
Realismus zurückweist. Kunst ist -
Ich denke es geht darum sich hundertprozentig auf seine Arbeit zu konzentrieren und
es ist wichtig sich durch nichts und von niemanden aus der Konzentration bringen
zu lassen. Ich denke es geht darum leidenschaftlich an der neuen Form und dem neuen
Begriff der Kunst -
Auch bin ich davon überzeugt, dass es darum geht sich durch niemanden und durch nichts vom Arbeiten abhalten zu lassen. Ich selbst weiss, dass niemand mich von meiner Liebe zur Kunst und von meiner Lust zu arbeiten abhalten kann. Es geht darum sich von nichts und von niemandem den Antrieb, die Freude und den Spass am Kunst machen nehmen zu lassen, das ist meine Strategie.
Du spricht oft von der Verantwortung des Künstlers, gleichzeitig von der Freiheit des Künstlers. Verantwortung setzt Bindungen voraus, Freiheit die Losgelöstheit davon. Ein Widerspruch?
Es gibt keinen Widerspruch zwischen Verantwortung und Freiheit. Denn was mich interessiert
am Begriff der Verantwortung ist die grenzenlose Verantwortung, die "ungeteilte Verantwortung".
Für mich ist der Begriff "Verantwortung" ein positiver Begriff, ein Wagnis, etwas
Emanzipatorisches und eine Befreiung -
Die Gegebenheit heute ist doch, dass immer versucht wird Verantwortung auf den Anderen
abzuschieben, dass man sich -
Kunst ist in unsern Breitengraden längst Teil der kapitalistischen Marktwirtschaft,
der Konsumgüter-
Ich sehe das ganz anders: Kunst ist widerständig, daran kann keine Königin, kein
Kaiser, keine Prinzessin, kein Staatspräsident, kein Minister, kein Diktator, keine
Bank, kein Staat, keine Demokratie, keine Gemeinschaft, kein Wirtschaftskapitän und
auch nicht die allerreichste Kunstsammlerin etwas ändern. Denn entweder besitzt die
Kunst -
Ich weiss, dass es immer nur um das Kunstwerk -
Die Autonomie der Kunst kann man in Kirchen, Schlössern, Museen, auf der Strasse
und in Wohnungen von Kunst-
Politisch sein heisst, über das engere Kunstpublikum hinauszuwirken. Welche Strategien
verfolgst Du, damit Deine Kunst auch von einem «nicht-
Ich will immer für ein "Nicht-
Für mich heisst für ein "Nicht-
Du schreibst: «Erst wenn meine Arbeit imstande ist, die Grenzen des "Persönlichen", des Akademischen, des Imaginären, der Umstände, des Kontextes und der Beschaulichkeit zu überschreiten, kann sie Wirkung haben»: WORAN merkst Du, dass Deine Arbeit diese Grenzen der Beschaulichkeit überschritten hat?
Wie löst Du selber diesen Anspruch an Dich als Künstler ein?
Ich bemerke, dass meine Arbeit eine Implikation ermöglicht. Ich bemerke das nicht
immer und nicht ununterbrochen, mir fällt es aber -
Ich behaupte nicht, dass meine Arbeit Wirksamkeit oder Implikation immer schafft und ich behaupte auch nicht, dass meine Arbeit das oft geschafft hat. Aber ich will es schaffen!
Das ist mein Anspruch, das ist mein Ehrgeiz und was Du von mir erwarten kannst ist,
dass ich alles tue um diesen Anspruch -
Gibt es Hoffnung für die Wirksamkeit von kritischer Kunst?
Nur Schlaumeier, Zyniker und Defaitisten sind Hoffnungslos. Ich bin voller Hoffnung
-
Form geben ist nicht einfach und es führt zu Missverständnissen und falschen Auslegungen. Dies ist so, weil Kunst das Dilemma konfrontiert, dass es nicht darum geht das politische zu ästhetisieren aber auch nicht das ästhetische zu politisieren. Das ist ein Dilemma, oder eine Sackgasse, ein Problem ohne Lösung. Diese Schwierigkeit muss ausgehalten werden, sie muss behauptet und sie muss hochgehalten werden. Das kann Kunst und das kann der Künstler, da liegt das Wirksame und da liegt die Hoffnung.